Klappentext

Diese Erzählungen sind Bilder aus dem Schweigen: unaufdringliche "Blicke" in den Reichtum der Einsamkeit des Menschen, die sich mit der Einsamkeit aller anderen Menschen berührt. "Die Zeiteinheit einer Wahrheit ist die kleinste: der Augenblick. Im nächsten Moment hebst du die Hand oder einer sieht dich an: Den Menschen, der du warst, gibt es nicht mehr."
So handeln diese Geschichten auch vom Sterben, das ein Verwandeln ist, denn nur wer viele Male gestorben ist, verwirft die Erwartung und versteht. Herr von Walter in der Erzählung "Meer" findet sich in einer schmerzhaften Sehnsucht wieder, Anna Stern erkennt ausgerechnet zwischen Glühweinbude und Bratwurststand auf einem Weihnachtsmarkt die verborgene Schönheit der Menschen, und das erblindende Kind in "Nahaufnahme" weiß mehr von den Menschen, die es umgeben, als diese je über sich wissen wollen.

Pressestimmen

"Die Autorin macht aus einem Schicksal eine Melodie ... Diese Prosa kommt dem Geist der großen Ingeborg
Bachmann nahe." Joachim Kaiser über "Nahaufnahme", Klagenfurt 1985

"Besondere Sensibilität kennzeichnet Margrit Irgangs Prosastück 'Nahaufnahme'. Ein Kind erblindet, eine Welt wird
klein, ein unverwechselbarer Ton erklingt, 'poetisches Parlando', meinte Joachim Kaiser, der die Autorin dafür immerhin mit dem Bachmann-Preis bedenken wollte." Ulrich Weinzierl, FAZ

"Ich hätte ... die Münchner Autorin Margrit Irgang vorgezogen. Ihre stille, eindringliche Prosa über ein sehschwaches
Kind zeigt, dass auch der Realismus noch nicht am Ende ist. 'Die Krankheit hat um Armeslänge um das Kind herum einen Rand gezogen.' Solche schlichten, richtigen Sätze haben neben virtuoser Artistik ihre große Berechtigung. Aber
in Klagenfurt waren sie ganz, ganz selten." Herbert Wiesner, Süddeutsche Zeitung

"Blicke: Alltagsfunktionen, Wahrnehmungen knapp über der Registriergrenze, Momente zwischen Festhalten und Verlieren, in denen sich, unbewusst, ein Weltbild formt. Margrit Irgang gestaltet in ihren Erzählungen die unbenannten Ereignisse, die sich unter der scheinbaren Oberflächlichkeit solcher Blicke erschließen: eine Differenzierung und Vertiefung des selbstverständlich Scheinenden ... Sehen, Gesehenwerden bedeutet ihr stets ein Erkennen, welches alle Anforderungen einer Beziehung schon mit sich führt; daher das 'self-effacement' ihrer Charaktere, eine Scheu, die jede große Geste verbietet, eine Dichte und Sensibilität des Empfindens, welche in der Gestaltung jedes Satzes vibriert ... Margrit Irgang gelingt es, das Verschweigen auszuformulieren - eine erfüllte Stille, die der Leser selbst zu ertragen lernen muss." Angela Schader, Neue Zürcher Zeitung

Leseprobe

Leseprobe aus "Der letzte Wunsch"

Wie schön dieses Haus ist, sagt Martha. Eingewickelt in ihre Decke, sitzt sie im warmen Sommerabend. Die Küchenmädchen reichen Getränke. Auf der Terrasse wird Schach gespielt; gedämpft ist der Ton der Gespräche.
Haben wir so viel Schönheit verdient, fragt Martha. Es ist eine Strafe, sagt Alma, wir müssen schwer gesündigt haben.

Morgens werden sie in die Wärme eines Bades gehüllt. Franz trägt Martha die Treppen hinunter, sie hängt wie gewickelter Draht an seinem Hals. Getragen wird man nur in äußersten Momenten, nach der Niederlage oder im Triumph. Franz hat Martha davon überzeugt, dass es sich um Ehre handelt. Er tanzt die Treppe hinunter, ein Überwinder der Schwerkraft. Alma folgt ihm mühsamen Schritts. Im Badehaus watet er durch den Dampf zu einer Liege, es riecht nach Öl und Fichtennadel. Spielerisch hält er Martha auf ausgestreckten Armen in die Luft. Seiner Kraft ist sie zu wenig. Aus ihm will etwas werden. Vielleicht wird es aber nicht. Die Unruhe treibt ihn an Orte, die er vor Unruhe gar nicht sieht.

Gestern war ich im Wald, flüstert er Alma zu. Zwölf Kilometer in einer Stunde, und über mir schrien die Vögel. Alma sieht ihn durch den Wald rennen, Franz mit dem wehenden Haar, und seine Erwartung ist jenseits der Bäume und hat kein Gesicht. Soll sie ihm sagen, dass sie ihm bleibt? Vielleicht aber findet er den Ort, den es nicht gibt, und die Welt ist um einen Sehnsüchtigen ärmer. Alma glaubt plötzlich zu ersticken am Dampf, durch den er geht wie durch eine Wand.